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Medizinisches Cannabis: Chancen, Risiken und die Zukunft

Publiziert: 12.02.2025

An der «International Medical Cannabis Conference» am 13. und 14. Februar diskutieren führende Expert:innen über Nutzen und Risiken von medizinischem Cannabis. Forschende, Mediziner:innen, Behörden und die Industrie tauschen sich über den aktuellen Stand der Wissenschaft aus. Prof. Dr. Jürg Gertsch, Mitorganisator der Konferenz, spricht über die neusten Erkenntnisse von Cannabis in der Medizin – und wieso die Konferenz in Bern stattfindet.

Prof. Dr. Jürg Gertsch – Institut für Biochemie und Molekulare Medizin Universität Bern

Als Pharmakologe interessieren Jürg Gertsch bioaktive Naturstoffe und was sie im Körper bewirken. Er und sein Team forschen seit zwanzig Jahren auf dem «Endocannabinoid System», dem körpereigenen biochemischen System, das auf Cannabinoide wie THC reagiert. Dieses System wurde vor mehr als dreissig Jahren dank Cannabis überhaupt entdeckt. Als Neurowissenschaftler und Biochemiker hat er sich schon immer für psychoaktive Naturstoffe interessiert und Cannabinoide aus Cannabis sind ein zentrales Thema seiner Forschungsgruppe.

10 Fragen und 10 Antworten

Jürg Gertsch, welche Bedeutung hat die Konferenz für Bern und die Schweiz?

Es macht durchaus Sinn in der Schweiz eine Konferenz zu medizinischem Cannabis durchzuführen, weil immer mehr Wissenschaftler:innen in der Schweiz zu diesem Thema forschen. Das Thema ist natürlich auch für Patient:innen und die Cannabisindustrie interessant. Die Universität Bern ist ein idealer Standort, weil hier seit vielen Jahren auf dem Thema geforscht wird.

Was war die Motivation, die IMCCB in Bern auszutragen?

Die Idee kam von Prof. Rudolf Brenneisen, der in Bern über viele Jahre die Forschung zu medizinischem Cannabis mittels Konferenzen vorangetrieben hat und seit einigen Jahren emeritiert ist. Wir beabsichtigen die interdisziplinäre Forschung in Bern in den nächsten Jahren voranzutreiben, denn der Standort der Universität Bern ist ideal.

Welche Hauptthemen werden an der Konferenz behandelt?

Erstmals greifen wir verschiedene Themen rund um Cannabis auf, da wir überzeugt sind, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend ist. Die Hauptschwerpunkte liegen auf Cannabismedikamenten bei Schmerz, Schlafstörungen, in der Palliativmedizin sowie bei neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen. Darüber hinaus beleuchten wir auch die Themen Cannabisabhängigkeit sowie die potenziellen Risiken von medizinischem und nicht-medizinischem Cannabis.

Die Konferenz zieht Expert:innen aus der ganzen Welt an. Können Sie zwei herauspicken und ihre Fachgebiete etwas erläutern?

Wir haben das Glück, weltweit führende Expert:innen für unsere Konferenz gewonnen zu haben, die ein breites Spektrum an Fachgebieten abdecken – sowohl in der Grundlagen- als auch in der klinischen Forschung. Margaret Haney vom Columbia University Medical Center in New York, USA, wird über die Risiken von cannabisbasierten Medikamenten sprechen, während Kirsten Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover, Deutschland, einen Vortrag über Cannabis-Medikamente und Schlafstörungen halten wird.

Welche aktuellen Entwicklungen im Bereich der medizinischen Cannabisforschung werden präsentiert?

Aktuelle Entwicklungen in der medizinischen Cannabisforschung betreffen verschiedene Bereiche. Neue Erkenntnisse zum Endocannabinoid-System und dessen Rolle bei Stress, Schmerz und Stoffwechselerkrankungen werden präsentiert. Fortschritte in der personalisierten Cannabistherapie, insbesondere zur Schmerzlinderung, werden diskutiert. Zudem werden klinische Studien zur Anwendung von Cannabis bei neurodegenerativen, psychiatrischen und suchtspezifischen Erkrankungen vorgestellt. Ein weiterer Fokus liegt auf den Risiken, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und der evidenzbasierten Regulierung von Cannabistherapien weltweit.

Bei welchen Krankheiten kann Cannabis eingesetzt werden?

Cannabis kann bei chronischen Schmerzen, Spastiken (z. B. bei Multipler Sklerose), Übelkeit und Erbrechen (z. B. im Rahmen einer Chemotherapie), Appetitlosigkeit (z. B. bei HIV/AIDS) sowie bestimmten neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt werden. Derzeit laufen zahlreiche klinische Studien zur Anwendung von Cannabis, die zeigen werden, bei welchen Patient:innen und Erkrankungen es eine bessere Wirkung als ein Placebo hat.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Ein konkretes Beispiel ist das Dravet-Syndrom, eine seltene und schwere Form der Epilepsie im Kindesalter. Viele betroffene Kinder sprechen nicht auf herkömmliche Antiepileptika an, während das Cannabispräparat Epidiolex (reines hochdosiertes Cannabidiol, CBD) in klinischen Studien gezeigt hat, dass es die Anfallshäufigkeit deutlich reduzieren kann. Für einige Patient:innen war es die einzige wirksame Therapie.

Welche Risiken/Herausforderungen gibt es bei einer medizinischen Cannabis-Therapie?

Da die Cannabis-Therapie mit grosser Sorgfalt dosiert wird und deutlich weniger THC enthält als nichtmedizinische Anwendungen, sind die gesundheitlichen Risiken gering. Die zentrale Herausforderung besteht darin, optimale Formulierungen mit maximaler therapeutischer Wirkung zu entwickeln.

Klinische Studien sind entscheidend, um herauszufinden, bei welchen Erkrankungen Cannabis wirksam ist und wo es keine Vorteile bietet. Evidenzbasierte Forschung spielt hierbei eine zentrale Rolle. Zudem zeigen sich individuelle Unterschiede in der Wirksamkeit, die wir besser verstehen müssen. Es ist möglich, dass nur bestimmte Patient:innen von einer Cannabis-Therapie profitieren, insbesondere wenn ihr Endocannabinoid-System dereguliert ist.

Das grösste Problem bleibt jedoch der Mangel an qualitativ hochwertigen klinischen Daten zur Wirksamkeit der verfügbaren Cannabis-Medikamente.

Wie weit ist die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern bei der Verwendung von Cannabis als Medizin?

Die Schweiz hat am 1. August 2022 das Verbot von Cannabis zu medizinischen Zwecken aufgehoben. Seitdem können Ärztinnen und Ärzte Cannabisarzneimittel ohne spezielle Bewilligung verschreiben. Im Vergleich zu Ländern wie Kanada oder den Niederlanden, die bereits früher umfassende Programme für medizinisches Cannabis eingeführt haben, befindet sich die Schweiz noch in einer Aufbauphase. Die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit von Cannabisarzneimitteln wird weiterhin evaluiert, und die obligatorische Krankenpflegeversicherung übernimmt die Kosten nur in Ausnahmefällen.

Was ist das Ziel der IMCCB-2025?

Die IMCCB-25 hat das Ziel, führende Wissenschaftler:innen aus aller Welt nach Bern zu bringen, um gemeinsam mit Ärzt:innen, der Cannabis-Industrie und Patient:innen aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse zu Anbau, Produktion und klinischer Anwendung zu diskutieren.

This interview was translated using Deeple.